Kaum ein Schauspieler schafft es, gleichzeitig so intensiv, so rätselhaft und so komisch zu wirken wie Willem Dafoe. Man sieht ihn und weiß nie genau: Ist er Heilsbringer oder Unheilsbote, Heuchler oder Held?
In seiner langen Karriere hat Dafoe mit namhaften Regisseuren gearbeitet – von Martin Scorsese über Lars von Trier bis Yorgos Lanthimos – und dabei eine beeindruckende Bandbreite an Figuren verkörpert: Heilige, Süchtige, Idealisten, Vampire, Zyniker und Getriebene. Aktuell ist er in Der phönizische Meisterstreich von Wes Anderson in einer kleinen Rolle zu sehen – ein guter Anlass, um zehn seiner eindrucksvollsten Filme und Rollen näher zu beleuchten.
10. Shadow of the Vampire (2000)
Ein Vampirfilm, der keiner ist – oder doch? Diese geniale Metafiktion erzählt die Entstehung von Nosferatu (1922) – mit einem Twist: Was, wenn der Darsteller des Vampirs ein echter Blutsauger war? Dafoe spielt Max Schreck als grotesken, obsessiven Außenseiter. Shadow of the Vampire verwebt dokumentarische Elemente mit Horror und liefert eine schaurige Reflexion über das Verhältnis von Kunst, Wahnsinn und (Selbst-) Ausbeutung. Dafoe verwandelt sich körperlich und stimmlich in eine zwischen Mitleid und Monstrosität schwankende Kreatur. Für diese Rolle wurde er zu Recht für den Oscar nominiert: Er macht aus einer Karikatur ein verstörendes Psychogramm – halb Komik, halb existenzieller Abgrund. Selten war das Kino selbst so sehr Teil des Horrors.
9. Leben und Sterben in L.A. (1985)
William Friedkins Neo-Noir zeigt Los Angeles als fiebriges Netz aus Korruption, Drogen und Gewalt. Dafoe spielt den Fälscher Rick Masters, der sich als undurchsichtiger Künstler mit Hang zur Zerstörung entpuppt. Der Film folgt zwei Secret-Service-Agenten, die ihn zur Strecke bringen wollen – doch ihre Methoden sind kaum weniger brutal als die des Gangsters. Dafoe gelingt es, Masters weder als bloßen Psychopathen noch als tragische Figur zu zeichnen; vielmehr changiert er zwischen eiskalter Kontrolle und eruptiver Wut. Besonders beunruhigend ist sein Blick: leer, kalkulierend und gleichzeitig voll stiller Verachtung. Inmitten der filmischen Hitze Kaliforniens ist Dafoes Figur das kühle Zentrum von Leben und Sterben in L.A., das alles in Bewegung hält.
8. Die letzte Versuchung Christi (1988)
Ein religiös inspirierter Film, der sich traut, Zweifel zu zeigen: Martin Scorsese verfilmte Nikos Kazantzakis’ Roman als spirituelles Psychodrama. Willem Dafoe verkörpert Jesus nicht als überhöhten Märtyrer, sondern als zweifelnden Menschen – geplagt von Schuld, Versuchung und Angst vor dem eigenen Weg. Der Film folgt ihm von seiner Zeit als einfacher Zimmermann über die Berufung durch Gott bis zur Kreuzigung, in der er sich im Angesicht des Todes ein anderes Leben erträumt. Statt göttlicher Erhabenheit zeigt Dafoe innere Zerrissenheit, Angst, auch Trotz. Die letzte Versuchung Christi wurde heftig kritisiert, ist aber längst ein Klassiker. Was bleibt, ist eine Darstellung, die Jesus nicht als Idealbild, sondern als Mensch näherbringt – verletzlich, getrieben, suchend. Und genau das macht sie so stark.
7. Kinds of Kindness (2024)
Yorgos Lanthimos’ Episodenfilm erzählt drei variantenreiche Geschichten über Kontrolle, zwischenmenschliche Abhängigkeit und Identitätsverlust. Dafoe ist in allen drei Teilen zu sehen, jeweils in verschiedenen Rollen – als Guru, Patriarch oder Vorgesetzter. In typischer Lanthimos-Manier sind die Figuren in Kinds of Kindness emotional entfremdet, sprechen in merkwürdigen Sentenzen und bewegen sich durch absurde Szenarien, die Soziale Normen unterlaufen. Dafoe brilliert gerade in diesen Brüchen: Mit sparsamer Mimik und unheimlicher Gelassenheit wird er zur Projektionsfläche für Machtfantasien und moralische Ambivalenz. Die Rollen fordern kein lautes Spiel, sondern kontrollierte Irritation – und Dafoe liefert genau das.
6. Nosferatu (2025)
In Robert Eggers’ Neuverfilmung von Nosferatu schließt sich ein Kreis: Nachdem Willem Dafoe in Shadow of the Vampire einst selbst den Vampir verkörperte, hilft er nun dabei, ihn zu bekämpfen. Eggers erzählt die Geschichte des transsylvanischen Grafen Orlok (Bill Skarsgård), der eine einsame junge Frau (Lily-Rose Depp) heimsucht, in ausladenden, atmosphärisch dichten Bildern. Die Handlung spielt im 19. Jahrhundert in der Hafenstadt Wisborg, wo Orloks Ankunft eine albtraumhafte Epidemie auslöst. Dafoe ist in all dem nicht mehr das Monströse, sondern eine skurril-sympathische Randfigur: der alternde Okkultist Prof. Albin Eberhart von Franz, der als einziger begreift, dass es sich nicht um die Pest handelt – sondern um eine weitaus schwerer zu begreifende Bedrohung.
5. Platoon (1986)
Oliver Stones Antikriegsfilm zeigt den Vietnamkrieg aus der Sicht eines jungen Rekruten (Charlie Sheen), der zwischen zwei Vorgesetzten hin- und hergerissen ist: dem brutalen Barnes (Tom Berenger) und dem idealistischen Elias, gespielt von Dafoe. Platoon schildert schonungslos den moralischen Zerfall im Dschungel, wo Gewalt, Misstrauen und Hilflosigkeit regieren. Elias ist die Stimme des Gewissens, aber auch er bleibt nicht unversehrt. Dafoe verleiht ihm eine stille Würde, eine fast kindliche Empathie, die im Kontrast zur rauen Umgebung steht. Die Todesszene seiner Figur ist tief ins kollektive Filmbewusstsein eingegangen. Dafoe macht aus Elias keinen Helden, sondern einen zutiefst verletzlichen Menschen mit Hoffnung, Zweifel und Mut.
4. Der Leuchtturm (2019)
Zwei Männer, ein Leuchtturm, ein Sturm: Robert Eggers’ surrealer Psychothriller ist ein Kammerspiel in Schwarzweiß, das sich zunehmend ins Wahnhafte steigert. Dafoe spielt den alten Seemann Thomas Wake, einen exzentrischen, abergläubischen Tyrannen, der mit seinem jüngeren Kollegen (Robert Pattinson) in einen Strudel aus Alkohol, Machtspielen und mythologischem Schrecken gerät. Mit seinem überbordenden Seemannsslang, manischem Blick und körperlicher Präsenz liefert Dafoe in Der Leuchtturm eine wilde, fast archaische Performance. Seine Figur ist halb Melville, halb Mephisto – und dabei so humorvoll wie beängstigend.
3. Poor Things (2023)
In diesem bizarr-feministischen Frankenstein-Variationsspiel spielt Dafoe den Chirurgen Dr. Godwin Baxter, der eine eigentlich tote Frau mit dem Gehirn eines Kindes wiederbelebt. Emma Stone übernimmt die Titelrolle, doch Dafoe bleibt als ihr „Schöpfer“ eine zentrale Figur – grotesk entstellt, hochintelligent und moralisch ambivalent. Der Film balanciert zwischen Satire, Science-Fiction und Groteske, wobei Dafoe den Wahnsinn der modernen Aufklärung verkörpert: ein Forscher, der an der Grenze zur Gottesrolle operiert. Trotz seiner Monsterphysiognomie ist Baxter nicht der Bösewicht – vielmehr eine Vaterfigur, die Kontrolle mit Zuneigung verwechselt. Dafoes Spiel changiert zwischen Beschützer und Manipulator – Poor Things ist auch ein Film über männliche Macht – und Dafoes Baxter ist ihr schillerndes, monströses Symbol.
2. Light Sleeper (1992)
In Paul Schraders melancholischem Großstadt-Drama spielt Dafoe John LeTour, einen alternden Drogenkurier, der inmitten nächtlicher Fahrten durch Manhattan über sein Leben und seine verlorene Liebe sinniert. Light Sleeper folgt seiner inneren Unruhe, seinem Wunsch nach einem Ausstieg, einem neuen Leben. Paul Schrader setzt auf karge Bilder und leise Töne; Dafoes Spiel ist entsprechend zurückgenommen, aber voller nervöser Intensität. Er wirkt wie ein Mann, der in Zeitlupe zusammenbricht. Selten war ein „Antiheld“ so leise und gleichzeitig so tief gezeichnet. Ein Film wie ein nächtlicher Gedankenstrom – getragen von Dafoes Melancholie.
1. Antichrist (2009)
Lars von Triers Antichrist ist einer der radikalsten Beiträge des modernen Autorenkinos: In diesem verstörenden, kammerspielartigen Horrordrama spielen Dafoe und Charlotte Gainsbourg ein Paar, das nach dem Tod des Kindes in eine Waldhütte reist – und dort psychisch wie körperlich zerfällt. Dafoes Figur – ein rationaler Therapeut – glaubt, durch Kontrolle und Analyse seine von Schuldgefühlen zerfressene Ehefrau heilen zu können. Doch sein Weltbild kollabiert angesichts der wuchernden Wildnis, die sich auch im Inneren der Figuren spiegelt. Dafoe spielt seinen Charakter mit stoischer Ruhe, hinter der zunehmend Hilflosigkeit aufblitzt. Inmitten drastischer Bilder bleibt er das fragende Zentrum: einer, der verstehen will, aber nicht versteht. Seine Zurückhaltung macht die Eskalation umso bedrückender – und eindrucksvoller.
Willem Dafoes beste Filme im Streaming-Überblick: 10 Rollen zwischen Wahnsinn, Mystik und Menschlichkeit
Die untenstehende Liste enthält unsere Filmempfehlungen zu Willem Dafoe – zusammen mit Informationen zu allen aktuellen Streaming-Möglichkeiten.