
Die 10 kontroversesten Cannes-Filme aller Zeiten

Markus Brandstetter
Seit seiner Gründung im Jahr 1946 (ursprünglich unter dem Namen „Festival International du Film“) zählt das Filmfestival von Cannes zu den renommiertesten Filmfestivals der Welt. Jedes Jahr versammelt sich die Filmbranche an der mondänen Côte d'Azur, um die neuesten, spektakulärsten und oftmals kontroversesten Kinoproduktionen des Jahres zu präsentieren.
Dabei stößt nicht jede Premiere auf Begeisterung oder erntet überschwängliche Kritiken – manchmal entstehen regelrechte Skandale. Ob aufgrund expliziter Darstellungen von Sexualität, drastischer Gewaltszenen oder brisanter politischer Inhalte: Wir werfen einen Blick auf die zehn größten Filmskandale in der Geschichte der Filmfestspiele von Cannes und beleuchten auch ihre Hintergründe.
Irreversibel (2002)
Im Jahr 2002 sorgte der argentinische Regisseur Gaspar Noé mit seinem drastischen Drama Irreversibel für einen handfesten Skandal beim Filmfestival von Cannes. Im Mittelpunkt der Kontroverse stand eine erschütternde Vergewaltigungsszene, deren verstörend realistische und ungeschnittene Darstellung über neun Minuten zahlreiche Zuschauer entsetzte. Während der Premiere verließen viele Gäste empört das Kino – doch genau diese Kontroverse verschaffte dem Film enorme Aufmerksamkeit. Kritiker und Publikum diskutierten hitzig über die Grenzen der filmischen Darstellung von Gewalt. Mittlerweile gilt Irreversibel als kompromissloses Meisterwerk, das trotz seiner Brutalität für seine erzählerische Radikalität geschätzt wird. Monica Bellucci, die Hauptdarstellerin, wurde international für ihre außergewöhnlich mutige und eindringliche Darstellung gefeiert.
Der letzte Tango in Paris (1972)
1972 sorgte Bernardo Bertolucci, der visionäre und zugleich kontroverse Regisseur, mit seinem Film Der letzte Tango in Paris für großen Wirbel bei den Filmfestspielen von Cannes. Der Film löste hitzige Debatten aus und bleibt bis heute eines der umstrittensten Werke des Festivals. The Last Tango in Paris schockierte mit seiner expliziten Darstellung sexueller Gewalt, aber auch psychologischer Manipulation. Besonders die berüchtigte Butterszene, in der Marlon Brando seiner Partnerin Maria Schneider ohne deren vorheriges Wissen eine rohe Gewaltszene mit Butter vorspielte, sorgte für heftige Kontroversen. Die Szene wurde sowohl als künstlerisch provokativ als auch als ethisch fragwürdig diskutiert. Der Skandal führte zu einem intensiven Diskurs über die Grenzen der Filmemacherei und die Verantwortung von Regisseuren gegenüber ihren Schauspielern.
Brown Bunny (2003)
Regisseur, Schauspieler und Musiker Vincent Gallo ist bekannt dafür, gerne anzuecken. Sein Film Brown Bunny aus dem Jahr 2003 sorgte bei den Filmfestspielen von Cannes für einen Megaskandal. Es war weniger der Film selbst – ein Low-Budget-Roadmovie – der in Erinnerung blieb, sondern vor allem eine explizite Oral-Sex-Szene zwischen Gallo und Chloë Sevigny. Im Gegensatz zu den meisten Kinoproduktionen, in denen Sexszenen meist simuliert werden, zeigte der Film eine besonders realistische Szene zwischen den Darstellern. Das stieß bei Festivalbesuchern auf große Empörung und Kritik. Mehrere Zuschauer verließen den Saal während der Vorführung. Während einige schockiert waren, fanden viele Kritiker The Brown Bunny langweilig, selbstverliebt und provozierend zum Selbstzweck. Doch nicht alle sahen das so: Einige titulierten den Roadmovie als modernes Meisterwerk. Für Vincent Gallo brachte der Film jedenfalls jede Menge Publicity. Noch heute erinnert man sich an The Brown Bunny als einen der kontroversesten Filme in der Geschichte von Cannes.
Antichrist (2009)
Der dänische Regisseur Lars von Trier sorgte im Laufe der Jahre immer wieder für Skandale in der Festivalwelt von Cannes. 2009 veröffentlichte er seinen mittlerweile legendären Film Antichrist, ein existenzialistisches Horrordrama rund um ein trauerndes Paar, das sich in einem verlassenen Waldhaus der Selbstverletzung und Selbstverstümmelung hingibt. Von Trier sparte dabei nicht mit drastischen und expliziten Gewaltszenen; auch sexuelle Gewalt und andere verstörende Darstellungen aus den Untiefen menschlichen Verhaltens brachte er ungeschönt und quälend realistisch auf die Kinoleinwand. Der Film löste massive Proteste aus, wurde aber auch von Kritikern hoch gelobt. Besonders die Hauptdarstellerin Charlotte Gainsbourg durfte sich freuen: Sie gewann für ihre eindringliche Darstellung der Ehefrau den Preis als beste Darstellerin. Wie viele Cannes-Skandale zuvor wird auch dieser Film mittlerweile hoch geschätzt – ist allerdings definitiv nichts für schwache Nerven.
Das große Fressen (1973)
In den 70er-Jahren schuf der italienische Regisseur Marco Ferreri mit seinem Film Das große Fressen ebenfalls einen handfesten Skandal in Cannes. Mit einem grandiosen Schauspielensemble um Marcello Mastroianni, Philippe Noiret, Michel Piccoli und Ugo Tognazzi widmet sich der Film dem Thema der krankhaften Völlerei. Vier Männer ziehen sich in eine Villa zurück, um sich buchstäblich zu Tode zu essen. Dahinter steckt ein klarer politischer Hintergrund: Ferreri übte damit eine satirische und gnadenlose Kritik an der Konsumgesellschaft und der Dekadenz der kapitalistischen Weltordnung. Wenig überraschend stieß das drastische Werk nicht überall auf Gegenliebe, viele Zuschauer und Kritiker empfanden ihn als geschmacklos. Es kam zu wütenden Protesten. Trotz – oder gerade wegen – des Skandals schuf Ferreri einen absoluten Filmklassiker, der heute, im Zeitalter des Turbo-Kapitalismus, relevanter denn je erscheint.
Die 120 Tage von Sodom (1975)
Pier Paolo Pasolini gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Regisseure der Filmgeschichte. 1975 sorgte er mit seinem Film Die 120 Tage von Sodom für einen der größten Skandale in der Geschichte des Filmfestivals von Cannes. Während viele kontroverse Filme bei Cannes gezeigt wurden, schaffte es Pasolinis Werk, das sich inhaltlich mit Machtmissbrauch, Folter und sexueller Gewalt auseinandersetzt, nicht einmal in den Wettbewerb: Der Film wurde von den Festivalverantwortlichen abgelehnt. Die extremen Darstellungen von Gewalt und sexueller Brutalität schienen selbst für Cannes zu viel. In vielen Ländern wurde Salo verboten oder zensiert. Dennoch löste der Film eine breite Diskussion über Zensur, Kunstfreiheit und deren Grenzen aus – eine Debatte, die bis heute anhält.
Crash (1996)
1996 feierte der Film Crash von Regisseur David Cronenberg seine Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes. Der Film ging als einer der größten Skandale in die Geschichte des Festivals ein – vor allem wegen seines provokanten Themas. Die verstörende Geschichte handelt von Menschen, die durch Autounfälle sexuelle Erregung empfinden. Dabei spart Cronenberg nicht mit drastischen Darstellungen von Gewalt und Sexualität. Das war manchen Gästen des Festivals dann doch deutlich zu viel. Viele Zuschauer verließen den Saal während der Vorführung. Die Reaktionen waren gespalten: Neben Empörung gab es auch viel Lob und überschwängliche Kritiken für Cronenberg und sein Schauspielensemble, zu dem u.a. James Spader und Holly Hunter gehörten. Der Kultregisseur durfte sich am Ende über den Spezialpreis der Jury freuen.
Baise-moi (Fick mich!) (2000)
Bereits mit ihrem Roman „Baise-moi“ sorgte die französische Autorin Virginie Despentes für einen handfesten Skandal. Als das Buch im Jahr 2000 verfilmt wurde – die Regie führte Despentes gemeinsam mit Coralie Trinh Thi –, lieferte dies natürlich ebenfalls jede Menge brisanten Filmstoff. Genau wie die Vorlage zeigt dieses französische Exploitation-Drama expliziten Sex sowie extreme Gewaltdarstellungen. In Baise Moi – Fick Mich! wird nichts geschönt: Alles ist radikal, brutal, sexuell und provokant überzogen. Kritiker und Publikum waren sich uneinig. Für manche war es grandioses feministisches Kino und eine kompromisslose Gegenhaltung, während andere die drastischen Gewaltszenen schlicht als zu viel empfanden. Es kam zu heftigen Protesten, und in mehreren Ländern wurde der Film verboten oder nur stark zensiert gezeigt. Despentes blieb ihrem Hang zum Skandal treu – und erreichte dadurch auch Kultstatus.
Blue is the Warmest Color (2013)
Es waren nicht nur die expliziten queeren Sexszenen, sondern auch Berichte über katastrophale Produktionsbedingungen und den fragwürdigen Umgang des Regisseurs Abdellatif Kechiche mit seinen Hauptdarstellerinnen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos, die 2013 in Cannes für jede Menge Gesprächsstoff sorgten. Kechiche wurde vorgeworfen, während der Dreharbeiten zu Blau ist eine warme Farbe (englischer Titel: Blue is the Warmest Color) ein extrem langes und anstrengendes Arbeitsklima geschaffen zu haben. Sowohl Léa Seydoux als auch Adèle Exarchopoulos berichteten von erheblichem emotionalem und körperlichem Druck, den Kechiche auf sie ausgeübt haben soll. Zeugenaussagen beschrieben die Stimmung am Set als toxisch, geprägt von Spannungen und Belastungen für die Schauspielerinnen. Nichtsdestotrotz wurde der Film zum absoluten Publikums- und Kritikerliebling: Er gewann die prestigeträchtige Goldene Palme, die erstmals sowohl an den Regisseur als auch ausdrücklich an die beiden Schauspielerinnen verliehen wurde. Heute gilt Blue is the Warmest Color als moderner Klassiker, der als Meilenstein des queeren Kinos gilt und wichtige Diskussionen über Filmethik anstieß.
Funny Games (1997)
Auch der österreichische Regisseur Michael Haneke machte bei den Filmfestspielen von Cannes seine Erfahrungen mit kontroversen Reaktionen. 1997 erschien sein Film Funny Games, der nicht mit der schonungslosen Darstellung von Gewalt und einer ungewöhnlichen Meta-Ebene geizt. Das Besondere an dem Film ist, dass er den Zuschauer direkt anspricht und seine Erwartungshaltung an Gewaltfilme hinterfragt. Haneke löste damit eine wahre Diskussionsflut über Gewalt im Kino aus. Seine provokative und kompromisslose Inszenierung stieß nicht überall auf Gegenliebe. Viele empfanden den Film als zu brutal und verstörend, während andere ihn als wichtige Kritik an der Lust am Töten feierten. Nichtsdestotrotz wurde Funny Games zu einem prägenden Werk im Genre des psychologischen Thrillers und einem häufig diskutierten Beispiel für Gewalt im Film.
Wo du diese Filme aus Cannes streamen kannst
Alle genannten Filme, die bei den Filmfestspielen von Cannes für Skandale sorgten, findest du auf verschiedenen Streaming-Plattformen. Über die verlinkten Titel kannst du jederzeit prüfen, wo sie aktuell verfügbar sind – egal ob im Abo, zum Leihen oder Kaufen.